Grabschändung: Fehlendes Bewusstsein - von Michael Möseneder DerStandard, 16. Oktober 2001, 19:32 Andere Länder, andere Sitten, heißt es. Der Kongress der Vereinigten Staaten von Amerika beschloss im Jahr 1990 das Gesetz über die Erstellung von Hate-Crimes-Statistiken. Seither veröffentlichen die Bundespolizeibehörde FBI und andere Institutionen jährlich einen Bericht über jene Verbrechen, die "motiviert sind von Vorurteilen gegenüber Rasse, Religion, sexueller Orientierung, Abstammung oder von der Behinderung einer Person." 7876 solcher Verbrechen wurden beispielsweise im Jahr 1999 gemeldet. In Oberösterreich wurde im September ein muslimischer Friedhof geschändet. Ein 17-Jähriger gestand nun, die 28 Gräber verwüstet zu haben. Als Motiv gab er gegenüber den Ermittlungsbehörden "allgemeinen Hass gegen Ausländer" an. Die Sicherheitsdirektion des Landes ob der Enns schließt daraus trotzdem, dass die "Tat ohne jeglichen politischen Hintergrund" begangen worden sei. Bei der Staatspolizei in Oberösterreich wurden im Jahr 2001 keine rassistisch motivierten Übergriffe auf Ausländer registriert. Der Unterschied? Der liegt in der Definition. In Österreich werden nur jene Taten als politische Verbrechen bezeichnet, hinter denen eine ideologisch klar orientierte Organisation steht. Wenn ein einzelner Betrunkener einen Ausländer oder Schwulen angreift, wird ein derartiger Vorfall oft nicht gemeldet und, falls doch, meist als "normales" Delikt gewertet. Im Innenministerium argumentiert man, dass es auch in anderen Staaten keine Definition von "politischen Verbrechen" gibt. Das mag korrekt sein, dennoch sind uns die USA mit der Definition und Auflistung von Hate-Crimes als Beitrag zur politischen Bewusstseinsbildung um elf Jahre voraus. Bewusst hinsehen - das ist ein wesentlicher Schritt zur Verbrechensbekämpfung. (DER STANDARD, Print-Ausgabe vom 17.10.2001) https://www.derstandard.at/story/746828/grabschaendung-fehlendes-bewusstsein---von-michael-moeseneder