Diese Seite befindet sich momentan im Aufbau, so wie sich das Grotefend Areal bald vielleicht im Abriss befindet ... das Grotefend-Areal, manchen bekannt als Vapiano am Weender Tor in Göttingen, anderen wegen Büros oder Blutspenden, vielen jedoch auch noch wegen dem Blick auf die Abfüllanlagen der Coca-Cola-Flaschen (wo nunmal jetzt Vapiano ist). Das Grotefend-Areal bfindet sich langfristig im Wandel, nachdem der Investor dieses Jahr wechselte, neue Pläne vorgelegt wurden, rückt evtl. ein drastischer Wandel bald näher - er könnte der Abriss des historischen Bausubstanz bedeuten, somit auch der Gebäude gegenüber vom Auditorium, direkt am Weender Tor. Diesen Gebäuden widmet sich diese Website. In Kürze folgen hier Dokumentationen zum Ensemble, zum Wandel, vielleicht anschließend auch - wenn es sich nicht retten lässt - zum Abriss.
Michel Graver
Stud. Politik- und Religionswissenschaft
michel.graver(ät)freies-verlagshaus.de
Neuigkeiten / Chronik
08.08.2021 Seite erweitert durch erste Stichworte und hist. Fotos u. Anzeigen
03.08.2021 Stadt-Archiv-Besuch, Bib.-Recherche » Textauswertung läuft
02.08.2021 Diese Seite wurde eingerichtet
02.08.2021 Telefonate mit Stadtplanung und Denkmalpflege
02.08.2021 Vapiano öffnet nach Umbau wieder
30.07.2021 Ortsbegehung, Doreen Fragel (Grüne)
29.07.2021 Stick mit aktuellen Fotos im Briefkasten
06.07.2021 Erste Notiz zum Grotefend-Areal
22.02.2021 Umbau der Sparkassen-Hauptfiliale am Groner Tor abgeschlossen, jeglicher »50er Jahre Charme« verschwunden
xx.03.2020 Mit dem Abriss des Gothaer-Areals verschwindet das fortschrittlichste Bürogebäude der »Nachkriegsmoderne« Göttingens
xx.12.2019 Hanseatic kauft Grotefend-Areal
- Das Grotefend-Areal soll (zeitnah) umgestaltet werden, die Hanseatic Group hat dazu Anfang Juli 2021 erste Entwürfe vorgelegt, die einen Abriss des bisherigen Baubestandes vorsehen würden. Auch wenn die Entwürfe nicht mit dem Bebauungsplan vereinbar wären, so wäre ein Abriss dennoch nicht ausgeschlossen.
- Ein Neubau würde den Abriss von einem historistischen Gebäude von 1880 im hinteren Teil des Areals und des Produktions- und Bürogebäudes von 1959 gegenüber vom Auditorium bedeuten
- Ich sorge mich insbesondere um das Gebäude von 1959, denn in Göttingen gab es lediglich 7-8 markante, flachgedeckte Büro-Gebäude-Neubauten zwischen 1945 und 1959. Bis auf das Opel-Hochhaus, die PFH (?) und das Grotefend-Gebäude sind alle verschwunden
- 1954. Erstes »Hochhaus« am Weender Tor, vier Stockwerke, heute Gebäude der VGH, dazu stark umgebaut, Dach von »postmodernem« Aufbau bekrönt, weitere Anbauten, wodurch der zuvor eher zurücktretender Charakter des Gebäudes zerstört ist.
- 1955. Opel-Hochhaus am Weender Tor, acht Stockwerke, bis auf spätere Lamellenanbauten und den Ausbau des vorher offenen Erdgeschosses, von außen unverändert.
- 1955. Gewerkschaftshaus, DGB, am Platz der Synagoge, vier Stockwerke, bis 2018 markante Fassade mit feingliedrigem Plattenbehang, jetzt verputzt.
- 1956. Landgericht und PFH, erhalten, nicht recherchiert.
- 1957. Gothaer Areal an der Geismar Landstraße, ehemalige Kasernengebäude ausgebaut, erhöht, flachdach-ähnlich gedeckt und miteinander verbunden, zwischen zwei der drei Gebäude Einbau eines repräsentativen Treppenhauses mit Fensterfront und dem einzigen Paternoster (insg. nur 4 in Niedersachsen). 2020 bis auf ein Gebäude abgerissen, somit auch Treppe und Paternoster verschwunden. Seit Frühjahr 2021 neue Bebauung. Siehe dazu: Recherchen zum Gothaer Areal.
- 1957. Kreishaus am Geismar Tor. Veränderte Dachkonstruktion, neuere Verputzung zulasten der Gliederung der Fenster, nunmehr gräuliche Fensterbänder auf orangem Grund.
- 1959. Hochhaus der Sparkasse am Groner Tor, 2020-2021 stark umgebaut, gleichförmige Fenstergestaltung ersetzt, Treppenhaus mit zeitgenössischer Verglasung entfernt, dekorelemente neben dem Treppenhaus entfernt, abgestuftes Flachdach auf Obergeschoss ausgebaut, Abstufung entfernt; Gebäude gleicht einem Neubau.
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1959. Bürogebäude und gläserne Abfüllanlage der Grotefend-Likörfabrik. v.l.n.r.: dreistöckiges Bürogebäude mit markanter runder, geschwungener Treppe mit erhaltenem originalen Geländer, erhaltenem Terrazzo-Boden mit wiederkehrenden Motiven in einheitlicher Farbgestaltung, zeitgenössische Uhr im 1. Stockwerk, dreiteilige Fensterfront tiefer Laibung, die Quader-ähnlich aus dem Gebäude herausragt. / Haupteingang, in den 1980ern (?) durch Stahl-Glas-Konstruktion umgestaltet, doch im Inneren unverändert mit Terrazzo und Heizkörper mit Terrazzo-Dekor-Verkleidung, drei Stufen führen links ins Bürogebäude, dort Terrazzo-Boden mit Grotefend-Logo-Mosaik, links davon ehemals Empfang mit Messing-Einfassung. / Ehem. gläserne Abfüllanlage, zum Foyer durch Glastür getrennt, von außen einsehebar durch große Glasfront, durch drei größere Säulen unterteilt, tiefe Laibung umrahmt die Glasfront, Laibung durch ebenfalls drei (dünne) Säulen getragen, links und rechts durchbrochen. Im Erdgeschoss Abfüllanlagen von Coca Cola und Fanta, heute dort Vapiano (Gastronomie), Fensterfront erhalten, doch Glastür zum Foyer vermauert. Im 1. Stock: Links Besucherraum mit Bar und Bühne, vermutlich nicht erhalten, da Büro (?); rechts ehemals Produktionsräume mit Tanks, vermutlich nicht erhalten; Fensterfront hier mit kleineren Fenster massiv vermauert. / Abschließendes Gebäude mit ziffernloser Uhr, zum Auditorium fensterlos zur Berliner Straße Fenster, baulich verändert durch Fenster im Erdgeschoss auf Schauseite und Veränderungen zur Berliner Straße, ehemals ziegelähnliche Fassadengestaltung, heute weiß verputzt, doch markante Uhr erhalten. / Dahinter Produktionshallen, zur Berliner Straße mit Okuli, vermutlich in den 1980ern stark verändert (nicht erhaltenswert?)
- Das Ensemble am Weender Tor ist zwar durch den Bau des Iduna-Zentrums und den Ausbau der Kreuzung stark verformt worden, doch sind das Opel-Hochhaus und das Grotefend-Areal Zeugnisse, wie zeitgenössisches, »modernes« Bauen in den 1950ern in Göttingen erfolgte. Die Hochhäuser, die heute eher belächelt oder übersehen werden (im Vergleich zum Neuen Rathaus oder Iduna Zentrum) stehen solitär und dezent, teils eingebetten in Grünflächen dort, mögen sie auch größer sein als das Auditorium, so treten sie optisch hinter dieses zurück (anders als Bauten der 1970er). So erfolgte unmittelbar am Weender Tor zwischen 1954 und 1959 eine moderne Bebauung mit einem viergeschossigen, einem achtgeschossigen (Opel) Hochhaus und dem Grotefend-Gebäude, während erstere die Weender Landstraße einrahmten, liegt letzteres Gegenüber vom Auditorium, ein schwieriger Standort: Wie soll einem für die Uni recht bedeutendem Gebäude begegnet werden? Das Grotefend-Gebäude tritt zurück, ist vergleichsweise niedrig und hatte geometrisch geformte Grünflächen vor der Glasfront. So war das Gebäude zwar präsent, doch - ich urteile nach historischen Fotos - vergleichsweise dezent.
- Durch Umbauten wurde zwar die Glasfront im ersten Stockwerk geschädigt und die Ecke zur Berliner Straß durch Fensterein- und Rückbauten verändert, doch während Foyer, Flure und Treppe unverändert sind, erfolgte der größte Eingriff durch die Entfernung der Abfüllanlagen und Produktionsmaschinen im Inneren, durch den Aufbau einer Außengastronomie vor dem Gebäude. Durch ausgewachsene Gebäude, der unglücklichen Fußgänder-Verkehrsführung vor dem Gebäude und dem separierten Gastronomiebereich leidet zwar das Gebäude - im Vergleich zu zeitgenössischen Fotografien, doch sind alle Eingrife (bis auf die Entfernung der Abfüllanlagen und der Umgestaltung des Besucherraums im 1. Stock) als temporär anzusehen. Durch eine Rekonstruktion der Fensterfront und einen Rückbau der Gastronomie wäre die Erscheinung (rein theoretisch) wieder herzustellen, die Eingriffe am Eckgebäude zur Weender Straße sind wenig auffällig, könnten zurückgebaut werden. Die Produktionshallen im hinteren Bereich sind jüngeren Datums.
- Ich mache mich daher dafür stark, dass das hier skizzierte Gebäude erhalten bleibt, ein Neubau die Produktionshallen (und meinetwegen das historisierende Gebäude) ersetzen, die Substanz aus den 1950er Jahren jedoch unangetastet bleibt. Falls noch mehr Raum benötigt wird, wäre es vielleicht denkbar, dass das linke Bürogebäude geteilt wird, also ab der Wand südlich vom Treppenhaus ein Neubau erfolgt, die Treppe, die Böden und die Fensterfront, sowie die gesamte Fassade zum Auditorium hingegen erhalten bleibt.
Man muss sich schon wundern, was in dieser Stadt (Göttingen) geschieht. Nach dem Gothaer Areal, dem Groner-Tor-Hochhäuschen soll nun auch das Grotefend-Areal verschwinden. Zukünftig wird also vielleicht nur noch das Opel-Hochhaus an die einzigwahre »Nachkriegsarchitektur« in Göttingen erinnern.
Kennen Sie das Grotefend-Areal in Göttingen? Nicht? Sie kennen aber bestimmt das »Iduna-Zemtrum«, ein Hochhaus in unmittelbarer Innenstadt- und Zentralcampus-Nähe. Gegenüber vom Iduna-Zentrum steht das Opelhochhaus, das erste Hochhaus Göttingens (damals mit Opel Werkstatt nebenan). Wiederum auf der anderen Straßenseite, also auf dem Weg zur Innenstadt steht das altehrwürdige, neoromanische Auditorium, also das erste größere Hörsaalgebäude der Uni. Und da gegenüber, am sogenannten Weender Tor, wurde in den frühen 1950ern für die Likör-Firma Grotefend ein Gebäudekomplex errichtet:
Das Grotefend-Areal.
Im hinteren Teil, also zwischen Wall und Berliner Straße gelegen, ist noch ältere Bausubstanz zu finden, dort hat(te) das Göttinger Tageblatt mal irgendetwas, ob Druckerei oder Verteilzentrum - der Schriftzug ist noch da. Im Fokus dieses Textes hier steht jedoch das vordere Gebäude, ja, da wo heute Vapiano drin ist.
Doch zuerst zum Bauen in den 50ern.
Göttingen hat im Zweiten Weltkrieg kaum größere Bombentreffer erlitten, jedoch wurde das Gebäude gegenüber vom Auditorium, Gebäude in der Unteren Maschstraße und das alte Anatomicum getroffen. Anstelle der Anatomie entstand der ZOB und ein Parkplatz, die Untere Masch wurde mit Wohngebäuden gefüllt, auch der Platz der 1938 zerstörten Synagoge wurde gefüllt, heute dominiert dort das ehemalige Gewerkschaftshaus, das bis vor kurzem eine markante Fassadengestaltung mit einzelnen quadratischen Platten aufwies. Während also in zB Kassel oder Hannover viel Fläche für zeitgemäße Büro-, Wirtschafts-, Geschäfts- und Wohngebäude zur Verfügung standen, wurden in Göttingen 1952 zwar die Botanischen Anstalten,
...
Kennen Sie das Gebäude?
Es besticht durch eine große Glasfront mit drei massiven, weißen Säulen, die über zwei Stockwerke verlaufen. Besonders markant ist der, diese Fensterebene einfangende, einige Meter hervor-ragende Rahmen, der wiederum von drei schmalen Säulen gehalten wird und somit einen witterungsgeschützten Bereich überdacht. Durch seitliche Durchbrüche durch den Rahmen ist ein Zugang zur Berliner Straße und auf der linken Seite direkt zum Haupteingang (unter ehemals großen »Grotefend«-Logo möglich. Hinter der Glasfront, die zwischenzeitlich im oberen Stockwerk massiv gemauert wurde, verbarg sich unten eine gläserne Abfüll-Anlage - nach vielen Anekdoten ein Highlight, die Coca-Cola-Flaschen auf ihrer Reise zu beobachten. In der oberen Etage befand sich hinter den großen Fenstern ein Veranstaltungsraum mit Theke, also passenderweise Likör- und Limonaden-Ausschank (vgl hist. Fotos). Während oben heute Büros eingerichtet wurden, hat sich unten die Gastronomiekette Vapiano eingerichtet. Im Inneren wurde das Gebäude folglich verändert, außen wurde lediglich im oberen Stockwerk die Glasfront ersetzt - hervortretendes Dach, Säulen, etc. wurden beibehalten.
Daran links - zum Wall hin - anschließend findet sich ein schmuckloser, dezenter, dreigeschossiger Baukörper mit regelmäßig angeordneten, beinahe quadratischen Fenstern und wiederum weit hervortretendem Flachdach. Hingegen schließt das Flachdach des rechten Gebäudeteils (an der Berliner Straße) rechtwinklig ab und besitzt zur Kreuzung keine Fenster, lediglich eine große ziffernlose Uhr, zur Berliner Straße hin jedoch große, raumfüllende Fenster.
Betreten wir das Gebäude durch den Haupteingang, der in den 1980/90ern baulich verändert wurde (Stahl-Glas-Konstruktion), so sehen wir dahinter das original gestaltete Foyer. Der Boden bestichtet durch einen dezenten, in chremefarbigen und matten Rot-Tönen gehalteten Terrazzo-Boden, der sich vermutlich auch unter der später eingebauten Wand zu Vapiano durchzog, also auch über die gläserne Abfüllanlage ausstreckte. Betritt man das Foyer, so erblickt man gleich ein großes Wandbild mit einer historischen Zeichnung des Weender Tors, darunter ein Heizkörper mit Beton-Terrazzo-Mosaik-Dekor, auf dunklem Grund finden sich Kreise in dem Boden ähnlichen Farben wieder.
Vom Foyer führen drei Stufen nach oben, heute ergänzt durch einen Treppenlift auf der rechten Seite. Unter dem rutschfesten Läufer findet sich noch ein Terrazzo-Mosaik mit dem markanten Grotefend-Logo, zur linken davon ein Empfangsfenster mit goldener Messingeinfassung, ach die 50er Jahre ...
Das Logo führt uns direkt auf die Treppe zu. Mir ist keine vergleichbare Treppe in Göttingen bekannt! Das Treppenhaus des Gothaer-Gebäudes war zwar imposanter und raumeinnehmender, die Treppenhäuser im Opel-Hochhaus und im Groner-Tor-Hochhaus waren hingegen eher bescheiden, wenn auch teils vergleichbar hell. Hier, im Grotefend-Bürogebäude befindet sich die Treppe direkt hinter einer Fensterfront, die den Blick zum Wall hinaus und vom Wall auf die Treppe ermöglicht. Dabei besteht die Front aus drei separaten Fenstern, die vom Erdgeschoss ins zweite Stockwerk reichen, zum Innenraum nur eine dezente Laibung haben, nach außen hin jedoch eine sehr tiefe Laibung aufweisen, sodass dieser Fenster-Quader ca. 50cm aus dem Gebäude hervorragt. Dies führt zu einem Effekt, der von Lamellen (wie am Opel-Hochhau) bekannt ist: das Innere ist nur zu sehen, wenn frontal reingeschaut wird, im vorbeigehen fällt vielen vielleicht nicht einmal mehr auf, dass sich hinter dem hervorkragenden Quader ein Fenster/Treppenhaus befindet.
Zur Treppe selbst
...
... Stand 9.7.21
Dieses Gebäude wurde in den ca. 60 Jahren seines Bestehens natürlich stark verändert, große Bäume verdecken die Fassade, an Stelle der kleinen Beet-Fläche findet sich heute die Außengastronomie von Vapiano, auch Grotefend gibt es schon lange nicht mehr. Die damals strahlenden Zeiten des Nachkriegs-Wirtschaftswunder-Fortschritts sind vergangen, die Autos fahren schneller, die Stadt wird schneller, autofreundlicher, lebende Ampeln unvorstellbar. Dominierte vor 1945 vermutlich das Auditorium den Platz, so dominiert heute mehr das Opelhochhaus oder das Grotefend-Areal das Ensemble, sondern vor allem das klobige Iduna-Zentrum. Von einem Charme, wie er sich auf dem Bild der 1950er findet, kann also beim Weender Tor nicht mehr die Rede sein, weder der Charme der »Nachkriegsmoderne« noch irgend ein anderer. Letztlich findet sich eine große, verkehrs-chaotische Betonwüste mit verlorenen Bäumen und zertrampelten Zierrasen.
Was also tun ... nehmen wir doch die altbewährte Methode »Göttingen« (Stadtnamen beliebig wechselbar) : reißen wir das ganze Zeugs ab und bauen mal was richtig modernes, wie wir doch auch die gesamte »Neustadt« (zwischen Marienkirche und Paulinerkirche) planiert haben, wie wir den ollen Reitstall zum Carré (bald ohne Hauptmieter Saturn) verwandelt oder auch die gegenüberliegenden Fachwerkhäuser zum Gothaer Haus, die schnieken Häuser am Marktplatz zum Kepa-Kaufhaus etc. etc. ... Hauptsache planieren.
Aber wieso sollte man auch Gebäude aus den 1950ern, die stellvertretend für den gewissen Fortschritt, für ein Wiederaufleben der Gesellschaft nach eklig-dunklen Nazi-Jahren mit bombenhagelnder Zerstörung, stehen, erhalten? Wieso denn? Wieso sollte man denn nicht mal was neues wagen? So richtig den Fortschritt in die Stadt holen? Weg mit dem charmanten, wenig protzigen, gar zurückhaltenden und zugleich auch verspielten Gebäuden der 1950er, her mit der »modernen Architektur«! Flachdach! Fensterfronten! Verspielt aneinandergereihte Baukörper! Jawoll!
Oh, Flachdach ... Fensterfrontne ... versetzte Baukörper, das haben wir schon beim Grotefend-Areal?
Trotzdem! Weg mit den 50ern her mit was Neuem!
Oh, das neue ist gar nicht so neu? Das neue erinnert immer irgendwie an altes? Ist gar nicht so hübsch? Hat eigentlich gar kein Charakter? Ruiniert eigentlich das letzte Fitzel Charakter und Charme des Weender Tores? Äh ...
Na egal! Wir wollen doch was Fortschrittliches machen aus unserer lieben Stadt hier. Da kann das doch alles wirklich gern weg!
Wie? Etwas fortschrittliches wäre es, wenn man das alte mit dem neuen verbindet, also die alte Substanz um neue, verbindende Baukörper ergänzt und so Zeugnisse der 50er erhält und zugleich Raum für neue Ideen und Konzepte schafft?
Also beispielsweise den Paternoster aus dem Gothaer Areal nicht abreist (März 2020), sondern vielleicht in den (nun ohnehin gleich aufgebauten Baukörper) integriert? Also die »Weiße Schule« auf dem Gothaer Aral nicht planiert, sondern vielleicht als Zeugnis eines Kasernen-Wirtschaftsgebäudes, eines »displaced persons«-Camps, einer der ersten Nachkriegs-Volksschulen und dem ersten Standort des späteren Theodor-Heuss-Gymnasiums erhält?
Also beispielsweise die grobe Form und die Dachkonstruktion, oder vielleicht auch das Treppenhaus des Sparkassen-Hochhäuschens am Groner Tor erhält und in einen »zeitgemäßen« Sparkassen-Bau mit meinetwegen versetzt angeordneten Fenstern (ach wie »modern«) einbezieht?
Also beispielsweise den Baukörper mit der markanten Glas-Säulen-Rahmen-Front erhält, vielleicht sogar das original (ohne genauertes Obergeschoss rekonstruiert), das Treppenhaus mit Lamellen weiterhin nutzt, jedoch die weiteren Gebäudeteile »modernisiert«, aufstockt, was weiß ich.
Aber nein.
Es ist doch viel schöner, wenn auch die kommenden Generationen, wie wir es doch über vergangene Abriss-Sünden (Neustadt, Reitstall, Pandektengasse/Gronerstr (richtig altes Fachwerk!), Kepa (heute Karstadt-Sport), Hospitalstraße (ehem. Stift St. Crucis), Ritterplan (mit Jugendstil-Oberlicht), Stadtbad (Jugendstil, heute Carré-Parkhaus) ... ) verzweifelt den Kopf schütteln können.
Pfui!
Literatur
Sehr zu empfehlen:
Der Wandel des Göttinger Stadtbildes nach 1945, Kunstsammlung Uni Göttingen, 1989.
Begleitheft hg. Bruno Klein. Hier insb: »Der Bereich des Weender Tores«, S. 14-16.
Zu Grotefend:
Adina Eckart (2019): Die Firma Grotefend - „Coca-Cola“ und der Nikolausberger Klostergeist, museum.goettingen.de
o.A. (1965): 1865-1965. 100 Jahre C. Grotefend Göttingen. (Bib. KWZ L-DM Go 169)
Zu Zwangsarbeit bei Grotefend:
zwangsarbeit-in-goettingen.de
Zum Bauen in den 50ern und 60ern in Göttingen einführend:
Katharina Klocke (2011): Bauen in 1960er Jahren. Schlicht und schmucklos (20.01.2011, GT), goettinger-tageblatt.de
Alle Jahresangaben in den obigen Skizzen wurden dem Stadtplan mit Eintragungen zu »Bautätigkeitn / Baualter« im Rahmen der «Strukturuntersuchung für die Entwicklung der Innenstadt« aus dem Planungsleitbild 1985, Stadtplanungsamt Göttingen (S. 228), entnommen, basierend auf der Baudenkmalkartei Stand 1981.
Die Bemerkungen zum (städte)baulichen Wandel basieren auf eignen Beobachtungen (insb. Gothaer, aber auch OM10 und Groner Tor), sowie Vergleichen historischer Ansichten und schließlich der Lektüre aller möglichen Berichte (Göttinger Monatsblätter), dem intensiven Zuhören von Anekdoten etc - ich lasse mich stets gern eines Besseren belehren, bin ja auch nur »zugezogen« und habe wenig Erinnerung an die Zeit vor 2000 :)
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Fotos
Fotodokumentation zum Wandel des Weender Tores ...
sozialdokumentarische-fotografie.com
... und zum Umbau 2010
sozialdokumentarische-fotografie.com
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Aus der Chronik
4. Dezember 1959
Einweihung des Neubaues des von der Firma Grotefend an der Ecke der Weender und Berliner Straße errichteten großen Gebäudes. Das von Architekt Kratz in Düsseldorf entworfene Bauwerk ist für die am alten Weender Tor jetzt entstehende moderne Platzanlage ein wesentlicher städtebaulicher Akzent. (stadtarchiv.goettingen.de)
28. Oktober 1965
Die Getränke-Industrie-Firma C. Grotefend, 1865 in Reinhausen gegründet, seit 1870 in Göttingen, begeht ihr hundertjähriges Bestehen. (stadtarchiv.goettingen.de)
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Friedrich Christoph Dahlmann (1785 - 1860) wohnte von 1829 an bei dem Zimmermeister A. Chr. Freise, bzw. dessen Sohn F. Freise, in dem neu erbauten Haus am Weender Tor gegenüber dem Auditorium, Weender Landstraße 1. Hier blieb er bis zu seiner Vertreibung im Dezember 1837 wohnen. Das Haus wurde im 2. Weltkrieg zerstört (heute C. Grotefend). Die Gedenktafel war von dem Universitätskurator v. Warnstedt im Jahre 1874 gestiftet worden. (Walter Nissen, stadtarchiv.goettingen.de)
Aus Presse & Medien
07.08.2021, GT: Kommentar: Bebauung am Weender Tor: Geht’s auch eine Nummer kleiner?, Britta Bielefeld, goettinger-tageblatt.de
07.08.2021, GT: Interview mit Robert Marlow - Architektenkammer-Präsident zum Weender Tor: „Dieser Entwurf gleicht fast einer Trutzburg“, goettinger-tageblatt.de
06.08.2021, GT: Die wichtigsten Fragen und Antworten zum Neubau Weender Tor, goettinger-tageblatt.de
05.08.2021, Stadtradio: Diskussion um Grotefend-Areal geht weiter, Jennifer Bullert, stadtradio-goettingen.de
05.08.2021, HNA: Siebenstöckiges Gebäude in Planung. Neubaupläne am Weender Tor sorgen für Streit, Bernd Schlegel, hna.de
02.08.2021, Sylvia Binkenstein (SPD): Grotefendareal – das letzte Wort ist noch nicht gesprochen, spd-fraktion-goettingen.de
02.08.2021, Doreen Fragel (Grüne): SPD OB agiert bei der Bebauung des Grotefend-Areals am Weender Tor intransparent und undemokratisch, doreen-fragel.de
15.07.2021, GT: Pläne von Hanseativ und Sparkasse: Neubau Weender Tor Göttingen: Scharfe Kritik von Anwohnern und Architekt , goettinger-tageblatt.de
09.07.2021, GT: Tageblatt-Leser fürchten durch den Neubau am Weender Tor eine „Verschandelung der Stadt“, goettinger-tageblatt.de
08.07.2021, GT: So soll der Neubau am Weender Tor in Göttingen aussehen, goettinger-tageblatt.de
10.06.2021, GT: Göttinger Grotefend-Areal: Ankermieter Arineo und Streit ums Verfahren (Das Grotefend-Areal am Weender Tor soll großflächig bebaut werden. Die Grünen fordern einen Architektenwettbewerb, die SPD drängt auf schnelle Umsetzung. Ein Göttinger Ankermieter hat bereits Interesse.), petra-broistedt.de
30.05.2021, Bündnis für nachhaltige Stadtentwicklung Göttingen: Hauptpost und Weender Tor … Bündnis mahnt Bürgerbeteiligung an!, bfns-goettingen.de
26.05.2021, HNA: Gasleck am Weender Tor in Göttingen: Großräumige Sperrung, hna.de
06.05.2021, GT: Architekten-Bund fordert Wettbewerb. Neue Bebauung am Weender Tor löst „erhebliche Irritationen“ aus, goettinger-tageblatt.de
16.04.2021, Stadt Göttingen: Sitzung in der Sparkassen-Arena - 15 politische Anträge auf der Tagesordnung, goettingen.de
15.04.2021, GT: Neuer Bau in Göttingen: Wohnen, Gastronomie, Büros: Siebenstöckige Gebäude am Wall geplant, goettinger-tageblatt.de
08.01.2020, Harz Kurier: Rolf-Georg Köhler begrüßt mit rund 1.000 Gästen das neue Jahr, harzkurier.de
12.12.2019, GT: Unternehmen Hanseatic kauft Gelände am Weender Tor, goettinger-tageblatt.de
14.12.2018, GT: Wohnen und Gewerbe am Weender Tor, goettinger-tageblatt.de
24.02.2015, HNA: Nach Gas-Verpuffung bei Blutspendedienst: Ärztin gestorben, hna.de
22.09.2011, KPW: Göttingen wird umgebaut : 2010 Vapiano - früher Grotefend und DAK, sozialdokumentarische-fotografie.com
20.01.2011, GT: Bauen in 1960er Jahren. Schlicht und schmucklos, goettinger-tageblatt.de
17.12.2010, GT: Pappardelle, Penne und Pizza am Weender Tor, goettinger-tageblatt.de
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o.J. Dipl. Ing. Ralf Dietrich Matthaei: Weender Tor in Göttingen - Freilegung des Grüngürtels, architekt-ralf-matthaei.eu
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Entwürfe und Planungen
30.10.2018 Bräunlin Kolb Schälick Architekten (Berlin, Basel, Leipzig), 2021-2023, competitionline.com, web.archive.org
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ps. wenn ich mich geirrt habe und die bestehende Substanz tatsächlich teilweise in den »zeitgemäßen« »pseudo-Bauhaus-Flachdach-Neubaukomplex« integriert werden soll, dann nehme ich alle bösen Worte gerne zurück und freue mich auf das Ergebnis!
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Letzte Änderung: 8. Aug. 2021, zuvor: 7. Aug. 2021, erstellt: 2. Aug. 2021, basierend auf Kurznotiz vom 9. Juli 2021.